Mindset Monday
Wie geht es dir wirklich?
Heute greife ich noch einmal das Thema vom letzten Mindset Monday auf, nicht direkt, aber es geht auch um Ehrlichkeit. Und zwar um die Wörter: „Wie geht es dir?“
Ich hatte letzte Woche meiner erste Spanischstunde und lernte dort den Satz „¿Qué tal?“, die spanische Variante des bei uns immer mehr beliebten „Wie geht’s?“. Julia, meine Lehrerin schmunzelte, bevor sie mich eindringlich warnte: Bloß keine ehrliche Antwort geben! Das sei nur eine Floskel, ein freundlicher Gesprächseinstieg – niemand will tatsächlich hören, wie es dir geht.
Ich musste lachen und mir kam sofort das amerikanische „How are you?“, in den Sinn, das im Grunde auch nur ein höflicher Ballwechsel ist. Aber wie ist das eigentlich bei uns in Deutschland bzw. wie gehe ich oder ihr oder die Mehrheit damit um?
Meinen wir es ehrlich, wenn wir „Wie geht’s?“ fragen? Und wie oder was antworten wir selbst?
Eine Floskel mit Tücken
Es ist der klassische Gesprächsöffner: „Wie geht’s?“ Eine einfache Frage, die so harmlos daherkommt, dass sie uns fast automatisch über die Lippen geht. Manchmal schieben wir sie sogar hinterher, wie einen nervösen Reflex: „Hallo, wie geht’s?“ Doch in Sekundenbruchteilen müssen wir uns für eine Antwort entscheiden: Sagen wir die Wahrheit? Oder wischen wir die Frage mit einem kurzen „gut“ beiseite?
Das Kuriose daran: Oft wissen wir selbst nicht, wie die Frage gemeint ist. Will die Person vor uns wirklich wissen, wie es uns geht, oder hat sie nur reflexartig diese Floskel benutzt? Und wie ehrlich möchten wir selbst antworten? Was möchten wir preisgeben?
Ich würde sagen zuerst einmal kommt es auf das Gegenüber an, ist die Person fremd, eine Bekannte, ein guter Freund? Und was ist Offenheit und was ist „übergriffiges Oversharing“? Diesen Ausdruck „übergriffiges Oversharing“ finde ich übrigens so gut, dass ich dem Thema demnächst einen extra Mindset Monday widmen werde.
Aber zurück zum Thema, meistens wird auf die Frage „Wie geht’s?“ mit „gut“, „super“ oder „ganz ok“ geantwortet, meiner Meinung nach auch Standardfloskeln. Man hätte wohl zum Einstieg genauso gut über das aktuelle Wetter reden können.
Klar möchte ich nicht, dass mir eine wildfremde Person sofort mit ihrer „negativen“ Lebensgeschichte oder Krankheit um die Ecke kommt. Aber ein bisschen mehr Empathie auf beiden Seiten wäre manchmal schon nicht schlecht.
Ich glaube, wir sind oft einfach nicht in der Lage damit umzugehen, wenn jemand ehrlich antwortet, haben vielleicht Angst, dass es uns jetzt wertvolle Zeit kostet, auf das Gegenüber einzugehen oder wissen überhaupt nicht wie wir reagieren sollen, hatten wir doch eine Floskel erwartet.
Ich erwische mich dabei, auch ab und an mit einem „Wie geht’s?“ ein Gespräch zu eröffnen. Z.B. kürzlich in einem Café, wo meine Freundin plötzlich reinschneite. Sie winkte meine Frage ab, verschwand gleich wieder, gab mir aber ein Zeichen, dass ich sie anrufen solle. Da war dann schon klar, dass etwas nicht passt, dass das kleine Café aber nicht der richtige Ort für eine ausführliche Schilderung war.
Ehrlichkeit kann etwas Schönes sein, aber auch schwierig. Genau das ist der Punkt: Wir sollten uns immer bewusst sein, wenn wir die Frage „Wie geht’s?“ stellen, können wir als Antwort nicht immer mit einer Floskel rechnen, sondern sollten daran denken, dass die Antwort manchmal auch lang, kompliziert oder unangenehm sein kann.
Wie oft hast du selbst schon „gut“ gesagt, obwohl es nicht stimmte? Bei mir ist es so: Ich möchte nicht lügen, aber in manchen Situationen oder bei bestimmten Menschen auch kein Fass aufmachen – dafür braucht es wie bei so vielem, eine gesunde Mitte.
Hier ein paar Antworten, die auch passen, aber nicht das ewige „gut“ und wie das allgegenwertige Wetter auch ein gutes Ablenkungsmanöver sind:
- „Es ist gerade viel los.“
Diese Antwort ist so vage, dass sie alles oder nichts bedeuten kann. Und wenn dann jemand nachhakt, was denn los ist, entscheide ich selbst, wie viel ich preisgeben möchte. - „Ich bin gerade auf dem Weg zu…“
Einfach das Nächstliegende sagen: „Zum Einkaufen“, „ins Büro“, „zum Yoga“. Das bringt das Gespräch auf eine harmlose Ebene. - „Wie geht’s dir?“
Manchmal frage ich einfach zurück. Damit zeige ich Interesse und bin selbst mehr oder weniger aus dem Schneider. Die andere Person hat dadurch aber die Möglichkeit, ausführlich zu antworten, wenn er/sie möchte.
Und jetzt: Wie geht es dir wirklich?
Die Frage „Wie geht’s?“ kann Smalltalk bleiben – oder zu einem echten Gespräch führen. Es hängt davon ab, wie wir sie meinen oder wie wir selbst darauf antworten. Vielleicht sollten wir öfter „Wie geht es dir wirklich?“ fragen, wenn uns die Antwort wichtig ist. Oder selbst den Mut finden, ehrlich zu sein, wenn der Moment passt. Und manchmal reicht es auch, einfach nur „gut“ zu sagen – und das ist dann auch okay.
Wie siehst du das? Schreib es mir in die Kommentare: Ist „Wie geht’s?“ für dich echte Neugier oder nur eine Floskel? Und wie gehst du mit der Frage um?
Bleib ehrlich – vor allem zu dir selbst!
Die Fotos zum heutigen Mindset Monday stammen aus einem Shooting mit Alex G. @instathingything im Dezember 2024. Habe ich schon einmal erwähnt, dass ich Portraits liebe?
6 Comments
Das Thema ist mir sehr bekannt und ich eröffne schon mal gerne mit der Frage “alles Gut?” – weit verbreitet in NL.
Und wenn ich das mal selber gefragt werde, werde ich zunehmend ehrlicher und gehe weg vom ja danke hin zu “einiges oder vieles” weil seien wir mal ehrlich, es ist nicht immer alles gut! Und dann kann man ja nachlegen, wenn man drüber reden will.
Grüße vom TOM
Lieber Tom, freue mich immer sehr, wenn hier auch mal ein Mann kommentiert, und finde auch deine “Strategie” nachvollziehbar und gut. Und ja, es ist nicht immer alles gut! Herzliche Grüße nach Kerkrade, Sigi
Ein spannendes Thema, liebe Sigi. Gerade heute habe ich mich damit in meinem täglichen Journal damit auseinandergesetzt. Ich bekomme jeden Tag per Mail einen Schreibimpuls und heute hieß er: Ich möchte es nicht schlimmer machen, als es ist. Wäre das nicht auch eine Antwort auf die Frage “Wie gehts?”. 😉
Wenn man mich fragt wie es mir geht, bin ich mir nicht sicher, ob mein Gegenüber wirklich eine Antwort will Ich sehe es auch eher als einen Einstieg ins Gespräch und es kommt darauf an, wo man sich gerade über den Weg läuft. Auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt gehe ich erst garnicht darauf ein. Wenn ich schon einige Minuten mit einer Person nett zusammensitze und dann kommt die Frage auf, dann gehe ich schon ganz anders darauf ein. Es kommt also darauf an ob Floskel oder nicht.
Liebe Grüße
Gudrun
Hallo liebe Gudrun, ja, das wäre meiner Meinung nach auch eine gute Antwort. Und ich sehe es ähnlich wie du, ich selbst kann aber oft Floskel von ehrliche Frage schlecht unterscheiden, vielleicht liegt es daran, dass ich es ehrlich meine, wenn ich “Wie geht’s?” frage. Liebe Grüße zu dir, Sigi
Liebe Sigrid,
oh, ich musste schmunzeln, als ich das las. Mein Stiefvater lebe einige Jahre in Spanien und meine Cousine lebt seit über 20 Jahren in Amerika, Cousens und Cousinen von meinem Mann in Frankreich. “Tre bien” oder Bien, mehr wird auch nicht erwartet. Für Deutschland, da bin ich mir echt nicht sicher. Verschiedenes habe ich ausprobiert und bin zu dem entschluss gekommen, das oft selbst bei einer Freundin oder guten Bekannten, es lieber nur eine Flosskel bleibt oder ich lenke, wie von Dir geschrieben, das Thema um. Denn bei einer Ehrlichkeit wurde ich zu oft verletzt oder im Gegenzug während des Sprechens unterbrochen und es wurde auf das Thema noch eins drauf gesetzt, wieviel Schlimmer das gegenüber es noch hatte. Ach die Energie spare ich mir und beschäftige mich mit Menschen die mir gut tun und wo ich erst gar nicht solche Sätze als Gesprächseinstieg benötige. Aber schön, das Du darüber geschrieben hast. Danke dafür.
GLG, Elke
Hallo liebe Elke,
danke für deinen Kommentar und deine Offenheit. Ja, es ist total blöd, wenn das Gegenüber noch eins obendrauf setzt. Und das hat wirklich etwas mit Energie zu tun. Ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass man bei dem Thema wie geht’s wahrscheinlich bei den meisten Menschen oberflächlich bleiben sollte. Ich selbst nutze diese Floskel nicht, nur dann, wenn es mich wirklich interessiert.
Herzliche Grüße,
Sigi